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"Interaktiver Friedhof" oder

"Was Sie schon immer nach Ihrem Tode sagen wollten"

Menschen sterben für uns erst, wenn wir sie vergessen. Ein Mittel des Erinnerns ist der Grabstein. Traditionell wirkt die Ruhe des Friedhofs und die individuelle Zentrierung des Verstorbenen in Form eines Grabsteins auf uns.

Unabhängig von metaphysischen Aspekten wird eine besinnliche und traurige Stimmung des Besuchers als wünschenswert eingeschätzt.

Die triste Ausstrahlung der Grabsteine wird in südlichen Ländern mittels Fotos der Verblichenen zerbrochen.
Diese Friedhofsrealitäten würdigen nach meiner Ansicht keinesfalls den Menschen an den wir uns erinnern wollen.

Es erscheint mir sinnvoller, den Verstorbenen mit anderen Mitteln in uns wieder zu beleben: Ich will mich zum Beispiel an einen Freund mit seinen Vor- und Nachteilen, seinem Temperament und eben seiner Lebendigkeit erinnern können.
grabstein

Da erwiesener Maßen akustische Äußerungen wesentlich intensiver als optische auf uns einwirken sollten Gräber bzw. Grabsteine auch so aktiviert werden.

Die Stimmen, Träume, Tätigkeiten usw. der Menschen können elektronisch fixiert und mittels individueller Sensoren aktiviert werden. Derart modifizierte und interaktive Grabsteine beleben den Friedhof und intensivieren das Erinnern. Warum soll ein Besucher des Friedhofs nicht auch mal schmunzeln, lachen oder wütend über den Toten sein ?

Meine interaktiven "Mustergrabsteine" behandeln exemplarisch verschiedene Temperamente, Berufe und Eigenarten der Menschen, wobei die Interaktion bzw. die auslösenden Sensoren inhaltlicher Bestandteil der Objekte sind.

1. "Publikum"
Ein Testgrabstein, der bei Ansprache die live eingesprochenen Wörter nach sechs Sekunden einen Terz nach unten versetzt und verhallt wiedergibt, wird von einem Chor begleitet. Wir erfahren also angenähert die Wirkung unserer eigenen Aussagen auf Andere.

2. "Pianist"
Aus einer wichtigen Phase seines Schaffens hören wir Phrasierungen eines Pianisten (Wolfgang Dauner), die mittels Zufallsgenerator immer neu zusammengesetzt werden. Ausgelöst werden die Klänge über Applaus und möglichst aber nicht notwendigen Zurufen wie "Zugabe".

3. "G.A.U."
Zur Erinnerung eines Kernkraftwerkunfalls wird über eine einsteckbare Sicherheitskarte der im Sarg befindliche Geigerzähler hörbar gemacht, und von einem bedrohlichen Grundton begleitet.

4. "Touch me"
Die lustvolle Stimme eines Homosexuellen erklingt durch streicheln des Grabsteins. Das Verstecken von Veranlagungen erübrigt sich nach dem Tode.
(Lautlieferant lebt noch, daher Urheber . . . )

5. "General"
Der Traum eines Generals: Bei Annäherung und Bewegung vor dem Grabstein wird der Friedhofsbesucher akustisch durch verschiedene Schußvorrichtungen attackiert. Die Vermutung, da&Mac223; bildende Künstler ähnliches beim Umgang mit ihren Arbeiten wünschen, ist nicht von der Hand zu weisen.

6. "Sex Telefon"
Dieser Grabstein wird an das öffentliche Telefonnetz angeschlossen und ermöglicht so entsprechende Dienstleistungen nach dem Tode. Die sinnliche Ausstrahlung der Verblichenen bleibt garantiert erhalten, und bereichert weiterhin die Telefongesellschaft. Urheberin der Laute: Frau Austauschbar.

7. "Ehepaar"
Die zu Lebzeiten aufgezeichneten Dialogfragmente eines Paares (Petra und Walter Giers) werden von Zufallsgeneratoren immer neu zusammengesetzt. Abwechslung bringen Variationen in der Stimmung. Das Paar ist unentwegt in Betrieb, lediglich bei Annäherung eines Besuchers schweigt es; Wer will schon, daß Dritte zuhören ?

8. "Orakel"
Prädestiniert für einen Grabstein ist das Orakel eines Philosophen (Peter Sloterdijk). Wenn Besucher Fragen an den Verstorbenen richten werden entsprechende oder nicht entsprechende, auf jeden Fall vieldeutige Antworten gegeben. Durch immer neue zufallsgesteuerte Kombinationen der Weisheiten, wird dem Verstorbenen sogar ein aktives Weiterleben seiner Ideen gesichert. Da die Inhalte von Zufallsgeneratoren gesteuert entstehen, der Zufall aber für den Gläubigen nicht existiert, müssen die Äußerungen einen Sinn ergeben.

Falls Sie, lieber Friedhofbesucher, einen ähnlichen Grabstein wünschen, überlegen Sie, "was Sie schon immer nach Ihrem Tode sagen wollten". Die Aussagen sollten, aus technischen Gründen, 70 Sekunden nicht überschreiten.

Urheber und Produzent Walter Giers.


Walter Giers, Medienkunst, Mühlbergle 11, D-73525 Schwäbisch Gmünd,
fon +49 (0) 7171 929653, fax +49 (0) 7171 929654, e-mail: post@walter-giers.de

Berthold Beuthe, Projekt-Management / Realisation
fon +49 (0) 7171 929653, fax +49 (0) 7171 929654, e-mail: berthold@walter-giers.de